
Unzählige Male habe ich es in den letzten Jahren gehört und gelesen: „Aber bei Amazon gibt es keine Beratung.“ Lange Zeit stimmte das auch – mehr oder weniger. Doch diese Zeit ist vorbei. Die neue Realität heißt: Amazon rüstet bei Beratung auf. Und: Sie sind bereits weiter als gemeinhin behauptet wird. Hat Amazon am Ende etwa von Zappos Nachhilfe bekommen?
Früher war die Welt noch in Ordnung
Vor nicht all zu langer Zeit war Amazon noch ein „Buchhändler mit angeschlossenen Sortimenten“. Die Startseite war voll mit Medienartikeln. Jeff Bezos, Amazons Gründer und CEO, lebte sein Mantra: „Jeder Kundenkontakt ist ein Fehler im System und muss eliminiert werden.“ Das hat sich eingebrannt. Weniger bei seinen eigenen Leuten. Vielmehr bei einer ganzen Branche.
2009 kauft Amazon Kundenservice-Champion Zappos
Dann kaufte Amazon am 22. Juli 2009 den Schuhversender Zappos:
(Sie müssen das Video unbedingt gesehen haben!)
Bereits zu dieser Zeit sagte Bezos:
We see great opportunities for both companies to learn from each other and create even better experiences for our customers.

Tony Hsieh, CEO von Zappos, schrieb in einem offen Brief an seine Mitarbeiter unter anderem:
We realized that we are both very customer-focused companies — we just focus on different ways of making our customers happy.
Es war also trotz Lernwille unwahrscheinlich, dass Amazon nun Zappos bei der persönlichen Beratung nacheifern würde. Beruhigende Worte gab es selbst Ende 2011 noch von Bezos gegenüber Wired:
We like their unique culture, but we don’t want that culture at Amazon. We like our culture, too. Our version of a perfect customer experience is one in which our customer doesn’t want to talk to us. Every time a customer contacts us, we see it as a defect.
Amazon geht auf Tuchfühlung mit seinen Kunden
Doch seit mittlerweile mehr als einem Jahr scheint Amazon zunehmend Anstrengungen bei der persönlichen Beratung zu unternehmen. Bei genauer Beobachtung der Amerikaner konnte man seitdem Veränderungen feststellen. So trauten sie sich zunehmend auf Tuchfühlung mit ihren Kunden zu gehen. Dabei probierten sie sich zuerst auf dem Heimatmarkt aus. Später versuchten sie es dann auch in Deutschland.
Vergleichsweise unscheinbar sah man an einigen Produkten plötzlich Angebote zur Kontaktaufnahme. Fragen wie „Need Help Deciding Which Television Product to Buy?“ oder „Haben Sie Fragen zur Bestellung bei Amazon?“ waren dort zu lesen. Mit wenigen Klicks konnte man sich zurückrufen lassen.
Bis heute setzt Amazon diesen Rückruf-Service an ausgewählten Artikeln ein. Auch in Deutschland bieten sie mittlerweile vereinzelt die persönliche Produktberatung an:
Die Steuerung der Auslobung scheint dabei recht komplex zu sein. Wahrscheinlich spielen mehrere Parameter eine Rolle. Der große Vorteil von Amazon ist die gigantische Datenmenge, die ihnen dafür zur Verfügung steht. Denkbar wäre beispielsweise sogar eine Aussteuerung auf Basis der Anzahl der eröffneten Kundendiskussionen zum Artikel in Verbindung mit der Antwortgeschwindigkeit der Community auf diese Fragen. Die Möglichkeiten sind quasi unendlich.
Vorbildliche Kontaktmöglichkeiten und überlegene Technik
Auch auf Kundenseite spart Amazon nicht bei den Möglichkeiten. Von kostenlosen 0800-Rufnummern über Rückruf-Service und E-Mail bis Live Chat werden alle heute gängigen Kontaktwege angeboten.
Shop- und Callcenter-Systeme scheinen dabei zusammenzuarbeiten. Bei der Auswahl des Kontaktweges wird der optimalste Weg empfohlen oder sogar die voraussichtliche Wartezeit angezeigt. Das dürfte ihnen kaum jemand nachmachen können.
Die Öffnungszeiten sind nur beim E-Mail-Kontakt 24/7/365. Ansonsten mit 6-24 Uhr aber weiterhin überdurchschnittlich.
Übrigens ist auch der Zugang zum persönlichen Kontakt mittlerweile weniger kritisierbar. Im Header klickt man auf „Hilfe“. Auf der Folgeseite ist die Kontaktmöglichkeit nicht etwa hinter einem Textlink versteckt. Sie wird durch einen Button sogar hervorgehoben.
Das Bild von Amazon ist überholt
Gängige Aussagen wie „Amazon kann keiner anrufen, Sie schon!“ sind schlichtweg überholt. Sie sollten sich als Onlinehändler unter keinen Umständen auf diesem veralteten Bild von Amazon ausruhen. Amazon rüstet für das zweite Drittel der Gesellschaft auf. Darüber wie gut die Amazon-Mitarbeiter dabei letztlich beraten, kann jedoch bis auf weiteres leidenschaftlich diskutiert werden.
Zukünftig wird Self-Service auch weiterhin Vorrang bei Amazon haben. Das kann man anhand neuer Initiativen sehen. Möchte ein Kunde Amazon jedoch kontaktieren, ist das heute überhaupt kein Problem mehr.
Was sagen Sie?
Wird Amazon zukünftig noch weiter in die persönliche Beratung investieren? Welche Differenzierungsmöglichkeiten haben andere Onlinehändler? Ich freue mich auf Ihren Kommentar.
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